Deutsche Version (B2 mit leichten Fehlern):
In Danny Boyles neuem Film ist Großbritannien eine Einöde. Städte liegen in Trümmern, Züge rosten auf den Gleisen, und die EU hat alle Verbindungen dorthin abgebrochen. Einige Bewohner hängen der Vergangenheit nach und versammeln sich unter der zerfetzten Flagge des Hl. Georg. Andere laufen hemdlos durch die offene Landschaft, schreien ohne Grund und bleiben ab und zu stehen, um Würmer zu essen. Man würde nicht in dem Land leben wollen, das Boyle und der Autor Alex Garland uns zeigen. Irgendwie suggeriert der Film aber auch, dass wir es vielleicht doch tun.
Boyle und Garland erforschten das zombiehafte Großbritannien schon 2002 in ihrem Hit 28 Days Later. Es war ein elektrisierendes Stück Spekulative-Fiktion, ein Guerilla-Thriller über eine unvorstellbare Welt. Seitdem gab es Brexit, Covid und die drohende Gefahr des Kriegsrechts in den USA … Die wilden Fantasien der Geschichte wirken heute gar nicht mehr so abwegig. "Ja, natürlich hatten reale Ereignisse diesmal großen Einfluss", sagt Boyle und nippt an seinem Tee in einem ruhigen Londoner Hotel. "Brexit schwebt definitiv über diesem Film. Aber die große Wirkung des ersten Films war, wie er zeigte, dass britische Städte plötzlich über Nacht leer sein könnten. Nach Covid fühlen sich diese Szenen wie eine Vorahnung an." Wo Cillian Murphy zuerst ging, folgten bald die anderen.
28 Years Later ist eine atemberaubende Horror-Epos – düster und blutig. Es ist kein klassische Fortsetzung, sondern eher ein Reboot oder eine Renovierung. Neuzugang Alfie Williams spielt den 12-jährigen Spike, der seinen Eltern (Jodie Comer und Aaron Taylor-Johnson) trotzt und vom sicheren Holy Island ins infizierte Festland flieht. Unterwegs trifft er auf wütende Zombies und grinsende Psycho-Killer sowie Ralph Fiennes als mysteriösen, orangefarbenen Dr. Kelson, angeblich ein ehemaliger Hausarzt aus Whitley Bay. Eine mitreißende Reise durch ein heruntergekommenes Nordengland – mit vielen offenen Fragen am Ende.
Das offene Ende ist Absicht, erklärt Boyle, denn der Film ist der erste Teil einer geplanten Trilogie. Sony Pictures hat zwei Drittel des Budgets bereitgestellt. Der zweite Film – The Bone Temple von Regisseurin Nia DaCosta – ist bereits fertig. Boyle will den letzten Teil drehen, doch die Zukunft ist ungewiss und die Branche steht auf Messers Schneide.
"Sony hat ein großes Risiko eingegangen", sagt der Regisseur fröhlich. "Der erste Film überraschte alle, indem er in Amerika gut lief, aber das heißt nichts für diesen. Schuld ist Tom Rothman [Sony-Chef]. Er ist ein Typ, der sein Studio auf verrückte Weise führt. Er hat zwei Filme bezahlt, aber den dritten noch nicht. Wenn dieser Film floppt, muss er trotzdem den zweiten rausbringen. Und dann? Vielleicht erfahren wir nie, wie die Geschichte endet."
Gute Regisseure spiegeln ihre Zeit, sind aber auch ihr ausgeliefert – mal oben, mal unten. Boyle durchlebte Cool Britannia mit Shallow Grave und Trainspotting, dann das imperiale Zeitalter von Slumdog Millionaire und den Olympischen Spielen, bis hin zum heutigen Chaos, wo geliebte Projekte wie müde Pferde zusammenbrechen. Mit 68 kämpft er immer noch für seine Filme. Warum ist er so gut gelaunt? Ist nicht alles den Bach runtergegangen?
"Nun, ich bin Optimist", sagt er. "Ich verzweifle nicht so wie viele andere. Außerdem stecke ich weniger in den Medien als du. Das gibt mir eine andere Perspektive. Und je älter ich werde, desto skeptischer bin ich gegenüber den Besessenheiten der Medien – dieses ständige Katastrophendenken und das Gefühl eines vermeintlichen Niedergangs."
Besonders in den USA fällt ihm das auf. "Trumps Dominanz kommt von seiner Medienfreundlichkeit. Seine Sprüche passen perfekt zu Nachrichten und Unterhaltung – bis es schädlich wird. Hier in Großbritannien haben wir Glück: Wir sind der extremen Rechten vorläufig entkommen und haben Keir Starmer gegen den Trend gewählt." Er greift nach seinem Tee. "Es könnte schlimmer sein."
2012 inszenierte Boyle die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London, Isles of Wonder. Die Show war ein Triumph – eine Hommage an britische Kultur mit James Bond, der Queen, Einwanderern, dem NHS, Shakespeare und den Sex Pistols. "Meine größte Reue? Dass die BBC nicht mehr vorkam. Als Gastgeber durften wir sie nicht zu sehr hervorheben. Bei allem anderen sagte ich: ‚Verpisst euch!‘ Aber das akzeptierte ich – ein Fehler. Heute, wo Technologie alles verändert, ist ein unabhängiger Sender wie die BBC, der weltweit vertrauenswürdig ist und nicht von Meta geschluckt wird, unbezahlbar. Würde ich es nochmal machen, würde ich die BBC groß feiern." Er lacht. "Alles andere bliebe gleich."
Isles of Wonder ist längst Legende – heute steht es neben James Bond und der Queen. Ich frage mich aber, wie die Geschichte Slumdog Millionaire beurteilen wird, sein Oscar-prämierter Film von 2008 über ein Ghettokind, das den Jackpot knackt. Boyle drehte den Film in Mumbai, teilweise auf Hindi und mit einem lokalen Team. Aber es war ein Film seiner Zeit – und die Welt hat sich weiterentwickelt.
„Ja, so etwas könnten wir heute nicht mehr machen“, sagt er. „Und das ist auch gut so. Es ist Zeit, das alles zu reflektieren. Wir müssen uns mit unserem kulturellen Ballast auseinandersetzen und den Spuren, die wir hinterlassen.“
Meint er, die Produktion selbst war eine Form von Kolonialismus?
„Nein, nein“, sagt er. „Naja, nur in dem Sinn, dass alles irgendwie so ist. Damals fühlte es sich radikal an. Wir entschieden, nur eine Handvoll von uns würde nach Mumbai gehen. Wir arbeiteten mit einem großen indischen Team und versuchten, einen Film in der Kultur zu machen. Aber man bleibt ein Außenseiter. Es ist immer noch eine fehlerhafte Methode. Diese Art von kultureller Aneignung mag manchmal akzeptiert sein. Aber heute? Unmöglich. Ich bin stolz auf den Film, aber heute würde man so etwas nicht mal überlegen. Es würde nicht mal finanziert werden. Selbst wenn ich dabei wäre, würde ich nach einer jungen indischen Regisseurin suchen.“
Eine große Feier britischer Kultur … die Windrush-Szene bei der von Boyle inszenierten Olympia-Eröffnung 2012.
Ein Kellner bringt eine zweite Tasse Tee. Boyle grübelt jedoch weiter über den Zustand der Welt. Er weiß, dass es schwierige Zeiten sind – aber es gibt auch Gründe, optimistisch zu sein.
„Hast du Kinder?“, fragt er plötzlich. Boyle hat drei, offiziell sind sie jetzt erwachsen. „Und das ist Fortschritt. Die junge Generation ist besser. Eine Verbesserung.“
Der Regisseur wuchs mit New Wave und Arthouse-Kino auf, mit Ziggy Stardust und Play for Today. Er begann als rebellischer Außenseiter und schaudert bei dem Gedanken, jetzt zum Establishment zu gehören.
„Alles führt zurück zu Punk“, sagt er. „Lou Reeds letzte Worte waren: Ich will alles sprengen. Weil er im Herzen immer ein Punk war. Wenn man diesen Geist bewahrt, bleibt man beweglich. Das ist wichtiger, als irgendwo festzustehen. Ich versuche, diese Werte zu leben.“ Dann korrigiert er sich: „Nicht, dass meine Arbeit wirklich revolutionär wäre. Ich will kein Publikum verschrecken. Ich glaube an Unterhaltung. Ich will Neues wagen – aber mit dem Publikum.“
„Ich will Neues wagen, aber das Publikum mitnehmen“ … Boyle bei den Dreharbeiten zu 28 Years Later.
„Ist das nicht ein Widerspruch?“, frage ich.
„Klar ist es das“, lacht er. „Aber ich habe für mich einen Weg gefunden, damit klarzukommen.“
Wenn der 12-jährige Spike auf Nummer sicher gegangen wäre, hätte er auf der Heiligen Insel unter englischer Flagge bleiben können. Stattdessen wagt er den Sprung ans Festland. Er lernt, kämpft, trifft auf Monster und findet seine Stärke.
„Kinder machen das eben“, sagt Boyle. „Deshalb geben sie uns Hoffnung. Auch in einem Horrorfilm – auch wenn das seltsam klingt. Aber wir alle brauchen etwas, an das wir uns klammern können. Im Kino. Im Leben.“
28 Years Later läuft jetzt in britischen Kinos.