Die „Missed“-Serie ist ein sehr gefühlvolles Werk der in China geborenen und in London lebenden Künstlerin Xinan Yang. Es beschäftigt sich mit Themen wie Erinnerung, Identität, Zugehörigkeit und kultureller Entwurzelung. Ihre Einzelausstellung „From Home“, vom 11. September bis 7. Oktober im Lauderdale House zu sehen, fällt mit dem chinesischen Mittherbstfest zusammen und feiert familiären Zusammenhalt. Yangs Gemälde zeigen eine Spannung zwischen greifbarer Realität und unverkennbarer Verletzlichkeit.
Beim Betreten des Lauderdale House fiel mir sofort eine leuchtend gelbe Wand mit Yangs „Missed“-Serie auf – Ölbilder verschwommener, anonyme Figuren, eingefroren in der Zeitlosigkeit des Familienlebens. Die salonartige Hängung erinnert an Fotoarrangements in Wohnzimmern und weckt ein fast déjà-vu-artiges Gefühl von Zuhause. Obwohl die Werke klein sind, stecken sie voller Tiefe. Yang hält flüchtige Erinnerungsmomente fest, basierend auf Familienfotos aus Flohmärkten, und erforscht so kollektive Erinnerung, Verlust und Trauer.
Was tröstlich sein sollte, wirkt auch unheimlich – das Vertraute wird fremd.
„Diese zerbrechlichen Fotos sind die einzigen physischen Beweise von Menschen, die einst existierten. Sie hinterfragen Gegensätze wie ‚Vergangenheit/Gegenwart‘, ‚lebendig/tot‘ und ‚Anwesenheit/Abwesenheit‘. Ihre Vergangenheit umgibt mich, doch nun sind sie bloß Ware.“ — Xinan Yang
Yang verwendet Secondhand-Fotos nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern als kritische Strategie – ein Ansatz, der schon in ihrem frühen Familienporträt „I Still Care“ (Saatchi Gallery, 2020) sichtbar war. In der „Missed“-Serie reflektiert sie jedoch die Politik der Fotografie selbst: Sie nutzt Malerei, um Zeit zu überdenken, Familiengeschichten neu zu erzählen und deren Wahrheit wie Lücken sichtbar zu machen.
Ihre Methode erfordert große Sorgfalt und widersetzt sich der Schnelligkeit des Schnappschusses. Inspiriert von Max Webers „Verstehen“ („durch Fühlen begreifen“), sieht Yang Malerei als soziologische Forschung. Sie untersucht Identität und prägende Erfahrungen in Familien, interpretiert sie neu – nicht, um verlorene Identitäten zu rekonstruieren, sondern um ihr Unergründliches zu ehren. Die weichen Gesichtszüge sind keine Verbergung, sondern eine Einladung: eine sanfte Unschärfe, in der sich Familie jenseits fester Identität entfalten kann.
Im zweiten Teil der Ausstellung wechselt Yang von Archiv-Rekonstruktion zu innerer Mythenbildung. Die Bilder wirken persönlich und archetypisch zugleich, in weichen, schichtreichen Tönen zwischen magischem Realismus und Wirklichkeit schwebend. Symbole aus Yangs diasporischer Erfahrung formen eine visuelle Sprache von Distanz, Fürsorge und Rückkehr.
„Ich bin davon abgekommen, Familienalben zu kritisieren, und drücke nun meine Entwurzelung von Heimat und Familie durch symbolische Bildsprache aus. Vögel stehen für zyklische Migration und Sehnsucht nach spiritueller Rückkehr. Unser Familienhund ist emotionaler Ersatz und Symbol für Verbundenheit. Der Mond, ein wiederkehrendes Motiv, verkörpert Sehnsucht, Rhythmus und Wiedervereinigung.“ — Xinan Yang
Durch den Kontrast zwischen dicht gehängten Archivwerken und offenen symbolischen Bildern schafft Yang einen Rhythmus von Spannung und Lösung. Besucher*innen können nah treten, Details studieren, dann wieder zurückweichen – ein Echo diasporischer Erinnerung: fragmentiert, nicht linear. „From Home“ bietet keine klaren Antworten, sondern hält die Mehrdeutigkeit von Identität, Zuhause und emotionaler Distanz aus.
Yang gelingt es, Widersprüche offenzuhalten, ohne klischeehaft zu wirken. Als asiatische Künstlerin in Großbritannien trägt sie zur stetigen Neudefinition britischer visueller Kultur bei – geprägt von Vielschichtigkeit und transnationalen Verbindungen. Statt fertige Erzählungen von Migration oder Erinnerung zu liefern, schafft sie einen Raum, in dem diese Erzählungen offen, unvorgeschrieben und zutiefst menschlich bleiben.